Als Türke wird man ja unweigerlich zum gläubigen Muslim von den Deutschen gemacht, ob man das nun selbst will oder nicht. Wie üblich entscheidet die Mehrheitsgesellschaft über die eigene Identität.
Der Zensus 2011 wäre so eine Gelegenheit gewesen, sich erstens selbst klar zu werden, ob man an Allah, Gott oder Jehova glaubt - oder auch gar nicht.
Da 10% der Bevölkerung befragt werden sollten, waren die Chancen relativ gross, dass auch bei mir der Blockwart Statistiker zweimal klingeln würde.
Natürlich hatte ich mich gefragt, was die dämliche Frage nach der Religionszugehörigkeit im Fragebogen zu suchen hat - was ist daran so wichtig, dass der Staat dies angeblich für seine zukunftsweisenden Planungen wissen muss? Wollte er etwa die Kirchensteuer danach abschaffen, wenn herauskommen sollte, dass sich nur noch 10% der Bevölkerung als Christen sahen? Oder eine "Moscheesteuer" einführen, wenn 30% Muslime wären?
Mir war klar: Dieser Fragekomplex hatte rein politische Gründe, deshalb verweist das Statistikamt ja auch bei den Gründen ziemlich hilflos und lahm auf eine Bundestagsdrucksache - ein deutliches Zeichen dafür, wenn man selbst keine plausiblen Sachargumente findet. Man schiebt die Schuld einfach jemand anderem zu.
Der Unsinn und die gleichzeitige Schwäche dabei erkennt man daran, dass ein grosser Teil der Bevölkerung absichtlich ausgespart wird: die Atheisten.
Zu diesen zähle ich beispielsweise auch diejenigen, die als Karteileiche in irgendwelchen Konfessionen hängengeblieben, aber eigentlich Atheisten sind. Darunter gibt es mit Sicherheit auch viele "Muslime", die gar nicht an Allah und/oder den ganzen übersinnlichen Kram glauben, nämlich solche wie mich.
Aber nach denen sucht der Zensus gar nicht.
Bleibt also die einzig plausible Erklärung: Man will nicht, dass herauskommt, wie die religiöse Wirklichkeit in Deutschland aussieht, sondern sich seine veraltete Weltsicht erhalten, um keine Konsequenzen ziehen zu müssen. Die Kirchen wollen unangetastet bleiben, während man zähneknirschend die Muslime aufwertet - und natürlich Kontrolle über sie erlangen will.
Letztendlich profitiert nur der Klerus dadurch. Teile und Herrsche. Es werden jetzt maximal noch einige politische "Muslime" hinzukommen, die über unsere Köpfe hinweg in unser Leben und unsere Finanzen eingreifen wollen. Das alles erinnert mich an die Funktionäre aus dem Kohlebergbau in Deutschland, die wirtschaftlich überhaupt gar keine Bedeutung mehr haben dürften, aber immer noch -zig Milliarden an staatlichen Subventionen kassieren.
5 Kommentare:
Viele Christen sind auch nur auf dem Papier welche. Zum Beispiel, weil viele soziale Einrichtungen von kirchlichen Organisationen betrieben werden. Da rechnet sich z.B. die angehende Erzieherin einen Vorteil in der Bewerbung aus, wenn sie "katholisch" reinschreiben kann.
Man kann sich den Aufschrei vorstellen, wenn eine sich als muslimisch bezeichnende Einrichtung einen Kindergarten eröffnen würde. Ich selbst hingegen musste mich beim Zivildienst in einer evangelischen Einrichtung von der Teilnahme am Gottesdienst mit Verweis auf das Grundgesetz erst befreien.
Würde man fragen, wer mehr als 5x im Jahr in die Kirche geht, das Ergebnis wäre ein Skandal. Würde man fragen, wer weniger als 5x im Jahr in die Moschee geht, dann wäre das eine unliebsame Überraschung für Sarrazyniker.
Gibt es da tatsächlich kein Feld für 'Keine Konfession'? Das würde mich stark wundern...
Und m.E. sind es von der Erfassung der Religionszugehörigkeit zum Gottesstaat doch noch ein paar mehr Schritte...
@ MarEliLu
So ist es. Wie auch der Spiegel schreibt: Es weird nur nach der Religion gefragt, aber nicht ob man überhaupt religiös ist.
Der Fragebogen spart gerade das aus, also kann man als Atheist nicht antworten - und wird so nicht gezählt.
Lustig, dass keiner von meinen deutschen Kollegen im Zensus gezogen wurde, ich aber mit dem frei übersetzten Nachnamen "Wahrer Türke" natürlich prompt so ein Schreiben kriege...
Im Schreiben steht dann drin, dass man auch mit dem beiliegenden Fragebogen postalisch oder per e-Mail antworten kann.
Aber nirgendwo ein Fragebogen dabei gewesen - eine e-Mail an diese Umfragetypen wird beantwortet a la erst müssen die mich mit zwei Terminen nerven die nicht zustande kommen (weil ich die Leute von meiner Tür jage) und dann erst dürften sie mir den Fragebogen geben.
Irgendwas daran riecht doch nach dem verzweifelten Versuch bei dem Türken zuhause zu spionieren ob er nicht evtl. was Illegales macht oder mit Hartz4 Leistungen Bomben aus Pflanzendünger und Babywindeln baut.
Dabei bin ich nicht mal Leistungsempfänger sondern Vollzeit ITler und zahle brav Steuern und muss jetzt Leute von meiner Tür jagen wie der letzte Asi.
@ foerdi
Da gab's doch mal vor einigen Wochen eine Meldung, laut derer die NPD ihre Mitglieder aufgefordert hatte, sich um diese Befragungsjobs zu bewerben, um Antifas und Ausländer auszuhorchen.
Würde mich gar nicht wundern, wenn das geklappt hätte.
Seit Dr. gen. Sarrazin sind sämtliche Dämme gebrochen.
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